Hör auf Deinen Bauch. Aber folge ihm nicht.
Warum es nicht ausreicht, der Intuition zu vertrauen.
Immer wieder gern erzählt wird die Geschichte der genialen Unternehmer-Persönlichkeit, die oder der an einem entscheidenden Punkt dem Bauchgefühl folgt, damit richtig liegt – und mit einer mutigen Entscheidung den Grundstein fürs eigene Imperium legt.
Verständlich: Die Geschichte ist allzu schön. Sie ist romantisch, und sie nährt den Mythos des Entrepereneur-Tums: Rentabilitätsplanungen und Business-Analysen kann jeder frisch aus der Uni gefallene BWLler aufstellen, aber um seinem Gefühl zu folgen - dafür braucht es Genialität und Mut.
Genau so formulierte das der frühere CEO von Johnson & Johnson, Ralph Larsen: “Very often, people will do a brilliant job up through the middle management levels, where it’s very heavily quantitative in terms of the decision-making. But then they reach senior management, where the problems get more complex and ambiguous, and we discover that their judgment or intuition is not what it should be.” (1)
Weniger gern erzählt werden die Geschichten von Unternehmer:innen, die ihrem Bauchgefühl folgen, dabei aber fatale Fehlentscheidungen treffen. Aber tatsächlich findet man, so scheint mir, für jede gute Entscheidung auch eine ganz, ganz schlechte,
Selbst der große Steve Jobs hat, zum Beispiel, mit John Scully ausgerechnet den Mann zum CEO von Apple gemacht, der ihn 2 Jahre später aus dem Unternehmen drängte. Und er nicht nur das iPhone vorgestellt, sondern auch Apple Lisa oder Macintosh TV (kein Streaming Service, sondern ein Fernseher).
Sollen wir also gar nicht auf unseren Bauch hören?
Die so einfache wie unbefriedigende Antwort ist: Das geht leider nicht. Seit langem wissen wir, daß Entscheidungen bei weitem nicht so rational gefällt werden, wie wir uns das gerne vormachen. Herbert Simon, der für seine Forschung dazu 1978 den Nobelpreis bekam, sagte dazu:
“In order to have anything like a complete theory of human rationality, we have to understand what role emotion plays in it.” (2)
Hirnforscher haben vielfach nachgewiesen, daß bei Entscheidungen zunächst nicht der präfrontale Cortex aktiviert wird – das ist der Teil unseres Gehirns, der für Ratio und Denken zuständig wäre. Zuallererst feuert das limbische System – der entwicklungsgeschichtlich viel ältere Bereich, in dem unsere Emotionen entstehen. Zum Beispiel die Amygdala (zuständig für Angst & Panik) oder der Nucleus Accumbens (das Belohnungssystem).
Blaise Pascal schrieb schon im 17. Jahrhundert so schön wie zutreffend:
„Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt“
Unser Handeln wird also zuallererst von Affekten und Emotionen getrieben, nicht von der Vernunft. Die kommt erst im Nachgang zum Zug. Manchmal kann sie dann noch ein Veto einlegen. Oft aber kommt ihr nur noch die Rolle zu, nachträglich zu erklären, was eh schon unbewusst entschieden wurde – Stichwort “Postrationalisierung”.
Der Hirnforscher Gerhard Roth meinte dazu: „Und da passiert es, dass wir auf die Frage:
‘Warum hast du dich gerade so entschieden?’, irgendetwas zusammenreimen, weil wir zu den unbewussten Motiven und Impulsen schlicht keinen Zugang haben.“ (3)
Es ist also gar nicht möglich, nicht auf den Bauch zu hören – der meldet sich auch unaufgefordert.
Leider trifft er dabei nicht unbedingt die richtigen Entscheidungen.
Denn Bauchgefühl und Intuition kommen ja nicht aus dem Nichts: Das Gehirn greift auch dafür auf die abgespeicherten Informationen und Erfahrungen zurück - nur eben, ohne daß dieser Prozess bewusst abläuft.
Bruce Henderson, der Gründer der Boston Consulting Group, definierte das sehr prägnant:
“(Intuition is) “the subconscious integration of all the experiences, conditioning, and knowledge of a lifetime, including the cultural and emotional biases of that lifetime.” (4)
Für unsere Ahnen hatte diese “Abkürzung” unschätzbare Vorteile: Wenn einem ein sehr großes, sehr böse dreinblickendes mit sehr großen Zähnen ausgestattetes Tier über den Weg läuft, sollte man wegrennen, ohne sich lange darüber Gedanken zu machen, ob Säbelzahntiger Fleisch- oder Pflanzenfresser sind.
Das Dumme ist nur: Erfahrungen, auch unbewusst gezogene, sind in einer Welt wertvoll, in der sich wenig ändert.
In einem Umfeld, das sich ständig wandelt, helfen sie wenig: Neue Gefahren, aber auch neue Chancen lassen sich durch den Rückgriff auf Erfahrung nicht einschätzen – egal, ob er bewusst oder via Intuition unbewusst geschieht.
Da hilft nur, die Entscheidungsfrage unvoreingenommen und im besten Sinne “naiv” zu durchdenken.
Was ist aber, wenn man als Resultat eines solchen Denk-Prozesses zu einem anderen Ergebnis kommt? Sollte man sich – zum Beispiel – auf ein Geschäft einlassen, bei dem man ein schechte Gefühl hat?
Ich denke: Das ist kaum sinnvoll. Wenn wir uns auf ein Projekt nur mit dem Kopf, nicht aber mit Bauch und Herz einlassen – sind wir denn dann je zu 100% dabei? Werden wir nicht, und sei es noch so unbewusst, immer mit angezogener Handbremse agieren? Und kann sie dann je wirklich erfolgreich werden?
Daher ist meine Arbeitshypothese:
Sagt der Bauch “njet”, sollte man ihm folgen.
Nicht, weil er recht hat.
Sondern, weil es wenig erfolgversprechend ist,
gegen die eigene Intuition zu handeln.
Sagt der Bauch “ja”, sollte man das Hirn einschalten.
Und prüfen, ob der Verstand die guten Gründe findet, die das Gefühl unterstützen.
(1) zitiert aus:
Hayashi, Alden M. 2021. When to Trust Your Gut. In: Harvard Business Review Feb. 2001.
(2)
Simon, Herbert A. 1983. Reason in Human Affairs. Stanford University Press.
(3)
Roth, Gerhardt, zitiert aus: Ratio in Maßen. In; Gehirn & Geist Nov. 2007.
(4)
Henderson, Bruce D. 1973. Business Thinking. Boston Consulting Group.