Zeit,
zu gehen?

Wenn man sich im eigenen
Unternehmen
nicht mehr zu Hause fühlt.
Ich berate meist Inhaber, die seit Jahrzehnten in der eigenen Firma arbeiten. So unterschiedlich sie auch sind – eine Frage treibt fast alle um: “Ist das überhaupt noch mein Laden”?
Naja: Es ist auf jeden Fall ein anderer als vor 5, 10 oder 20 Jahren. Unternehmen entwickeln sich weiter, wie Menschen. Sie werden erwachsen (und wenn man nicht aufpasst, altern sie auch vor der Zeit und sterben).
Auch die Kultur eines Unternehmens ist nicht starr. Sie verändert sich mit den Menschen, die in ihm arbeiten. Und das sind in der Gründerzeit ganz andere als später. David C. Baker hat drei Phasen beschrieben (1) – und ich versuche mal zusammenzufassen, was das für Gründer:innen bedeutet.
Phase 1
In den ersten Jahren gibt es kaum Prozesse und Rollen. Jede:r macht alles. Man sucht daher nach Mitstreiter:innen mit ähnlichen Werten, Seniorität und Fähigkeiten sind nicht ganz so wichtig. Schließlich ist alles noch sehr im Fluss und man weiß noch nicht genau, welche Fähigkeiten in zwei oder drei Jahren gefragt sein werden.
Für Gründer:innen ist das eine tolle Zeit: Die Menschen in der Firma sind wie eine Familie. Alle ziehen an einem Strang, Entscheidungen werden auf Zuruf getroffen. Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran. (2)
Phase 2
Das ändert sich, wenn das Unternehmen wächst: Plötzlich gibt es feste Abläufe, Prozesse, Rollen. Und damit Bedarf nach Mitarbeiter:innen mit ganz bestimmten Kompetenzen. Man stellt seniorere Kräfte ein. Menschen, die anderswo schon Karriere gemacht haben.
Für Gründer:innen ist das eine nicht mehr ganz so einfache Zeit: Plötzlich sind da Menschen im Unternehmen, die nicht nur andere Erfahrungen, sondern auch eine andere Kultur mitbringen. Die Familie wird zur Zweck-WG. Gleichzeitig wird alles langsamer. Wie ein Fluss, der sich von seiner Quelle in den Bergen entfernt und die Ebene erreicht. Er fließt langsamer. Dadurch lagern sich Sedimente ab, die ihn weiter abbremsen. Er beginnt, zu mäandrieren.
Phase 3
Das Unternehmen entwickelt auch substantiell andere Angebote, Produkte, Services. Plötzlich sind Menschen gefragt, die Dinge können, von denen man als Inhaber:in gar nichts versteht. Mit einem wieder ganz anderem (firmen-)kulturellem Background: Programmierer. Finanzer. Vertriebler. Vielleicht kommt es zu Mitarbeiterbeteiligungen, Übernahmen und Fusionen.
Aus der Zweck-WG wird eine Eigentümergemeinschaft. Oder, um im Bild des Flusses zu bleiben: Es gibt Zuflüsse, deren Wasser eine ganz andere Farbe hat.
Spätestens jetzt kommt es auf, dieses Gefühl der Entfremdung: Man fühlt sich als Gründer:in fühlt man sich mehr und mehr als Fremdkörper im eigenen Unternehmen.
Oft genug wird man auch als solcher empfunden. Schließlich verhält man sich immer noch so wie am Anfang. Bringt sich ohne Rücksicht auf Zuständigkeiten und Hierarchien ein – Stichwort “Founder’s Mode”. Entscheidet impulsiv und auf Zuruf. Und verlangt, dass das ganze Unternehmen weiterhin so schnell und spontan agiert wie am ersten Tag: “Still Day One”, wie Jeff Bezos seit 1997 in jedem Aktionärsbrief schrieb. (3)
Im besten Fall agieren Gründer:innen dabei als positiver Störfaktor: Sie kämpfen gegen die immer weitere “Versandung” der Prozesse, unterstützen die, die gestalten und nicht nur verwalten wollen, halten die Fahne der Innovation hoch.
Eine wichtige, aber anstrengende Rolle. Ein Kampf gegen die Windmühlenflügel der internen Bürokratie und gegen die Mehrheit der eigenen Belegschaft. Oft mehr geduldet als wirklich geliebt. Ein undankbarer Job. Und ein einsamer: Die Mitstreiter:innen der ersten Stunden haben meist längst das Handtuch geworfen.
Da stellt sich aus meiner Sicht zu Recht die Frage, ob man sich das weiter antun möchte, daher zu Recht. Schließlich hat man in den letzten Jahrzehnten vieles zurückgestellt - Familie, Freunde, persönliche Interessen. Noch wäre Zeit und Energie, sich darum zu kümmern.
Keine leichte Entscheidung.
Da ich Unternehmer:innen berate und nicht Unternehmen, ist meine Position: Was auch immer sie machen - bei dieser Entscheidung sollten einmal ihre eigenen Interessen im Vordergrund stehen.
(1)
Fehlfarben. Ein Jahr (Geschichte wird gemacht). Auf: Monarchie und Alltag. 1982.
(2)
Baker, David C. How Your Hiring Strategies Change. Blogpost punctuation.com. 2024.
(3)
"As always, I attach a copy of our original 1997 letter. It remains Day 1."
In: Bezos, Jeff. 2017 Letter to Shareholders, 24.04.2018.