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One Way Door 
oder  
Two Way Door? 

Illustration eines Mannes, der vor zwei Türen steht

Wie man entscheiden kann, 
was man entscheiden muss. 

Unternehmen agil zu führen, ist das Gebot der Stunde – Prozesse mit langen Analyse-, Planungs- und Entscheidungsphasen sind nicht mehr en vogue. Zu Recht: In einer Zeit, in der wir uns nicht mehr sicher sein können, wie unsere Welt in 5 Wochen aussieht, machen 5-Jahres-Pläne wenig Sinn. 

 

Ich fürchte nur, daß man da häufig das Kind mit dem Bade ausschüttet. Denn es gibt auch weiterhin Projekte, für die man eine detaillierte Planung aufsetzen und weitreichende Entscheidungen treffen muss. 

 

Aber wie lässt sich erkennen, welche das sind? Das Haupt-Kriterium ist die Frage nach der Reversibilität: Kann man die fragliche Entscheidung rückgängig machen – und wenn, zu welchem Preis? 

 

Software z.B.  ist reversibel. Sie lässt sich A/B-testen, sie lässt sich modifizieren – und was nicht genutzt wird, wird eben beim nächsten Update gefixt oder zurückgenommen. Es ist daher kein Zufall, daß die Idee des agilen Arbeitens in diesem Bereich entstand  –  das „Agile Manifesto“ wurde 2001 von Software-Ingenieuren geschrieben. (1) 

 

In der physischen Welt sieht das leider anders aus: Ist der Rohbau für einen neuen Flughafen erstmal in Beton gegossen, lässt er sich nicht ohne großen Aufwand ändern.  

 

Dieses  Beispiel ist nicht zufällig gewählt: Daß Großprojekte wie eben der Berliner Flughafen immer wieder spektakulär alle Budget- und Timinggrenzen reißen, liegt eben nicht an zu wenig, sondern an zu viel “agiler” Planung: Noch während der Bauarbeiten werden Anforderungen und Pläne nonstop erweitert,  geändert, umgeschrieben. 

 

Erschwerend kommt dazu, daß während der  langen Planungs- und Bauperiode auch ohne Zutun der Auftraggeber ständig Änderungsbedarf entsteht: Die Kosten steigen ganz von allein, Anforderungen, Baurecht und Vorschriften ändern sich, der Stand der Technik macht Neues möglich.  Wenn so ein Großprojekt dann mit langer Verspätung  endlich an den Start geht, ist es bereits veraltet. 

 

Ein anderes Beispiel: Wenn unsere Bundeswehr nur noch über 266 Panzer verfügt (2),

liegt das daran, daß man seit 2002 am Nachfolgemodell Puma plant. Als 2015 endlich die Serienproduktion begann, hatte es schon 600 Änderungswünsche der Truppe gegeben. (3)

Auch hier also: Der Kern des Problems ist nicht zu wenig, sondern zu viel “Agiltät”. 

 

Ein Unternehmen, daß sehr entschieden zwischen reversiböen und nicht reversiblen Projekten unterscheidet, ist Amazon. Man spricht dort von “One Way Doors” und “Two Way Doors”. 

 

Eine “Two Way Door” wäre z.B. der Test eines neuen Software-Features. Durch so eine Tür zu gehen,  ist immer positiv.  Joe Wilke, zu der Zeit CEO des Consumer-Geschäfts bei Amazon, erklärte das so: 

 

”The point is that committing resources to an invention allows you to make a foray into some new space; it’s like going through a door and discovering what is really on the other side of it. But what if you don’t like what you find there? No big deal if this was a two-way door and you can just retreat (walking through and then back); maybe you lost some initial outlay but on the other hand you learned something. “ (4)

 

Ganz anders “One Way Doors”. Bildlich gesprochen: Du gehst durch eine Tür, sie fällt hinter Dir ins Schloss – und Du stellst fest: Auf dieser Seite ist gar keine Klinke, sondern nur ein Drücker.  Wenn Du diesen Raum wieder verlassen willst, musst Du einen längeren Weg auf Dich nehmen oder im Zweifel aus dem Fenster steigen. 

 

Daniel Slater, Head of Innovation bei Amazon, schreibt dazu:  “Eine Einweg-Tür-Entscheidung hat erhebliche und oft unwiderrufliche Konsequenzen. Der Aufbau eines Fulfillment- oder Rechenzentrums ist ein Beispiel für eine Entscheidung, die viel Investition, Planung und Ressourcen und daher eine gründliche und sorgfältige Analyse erfordert.” (5)  Mit anderen Worten: Einen klassischen Planungs- und Entscheidungsprozess. 

 

Was kann man daraus für die eigenen Entscheidungen lernen? Aus meiner Sicht drei Dinge: 


1

 

Prüfe vor jeder Entscheidung, ob sie reversibel ist: Stehst Du vor einer One Way Door oder einer Two Way Door?

 

 

2) 

 

Es gibt mehr “Two Way Doors”, als du denkst:  Bei genauerer Betrachtung muss man bei vielen Projekten keine komplexen Planungen anstoßen und keine großen Entscheidungskreise ziehen. Sondern stattdessen: Einfach anfangen!
 

We don’t need to predict the future
if we can move in the right direction.
(6)

3)

Wenn sich eine Entscheidung aber als irreversibel erweist, du also vor einer “One Way Door” stehst, heisst es umschalten: Jetzt musst du dir die Zeit nehmen, erst sorgfältig und umfassend zu planen. Dann einmal umfassend entscheiden. Und die einmal getroffene Entscheidung dann so schnell wie möglich umsetzen, damit kein “Änderungsdruck” entsteht. 

 

(Um nochmal auf Amazon zurückzukommen: Für den Bau eines dieser riesigen und sehr komplexen Logistikzentren braucht man da weniger als 12 Monate.)
 

Einmal mehr zeigt sich: 

Wer gute Entscheidungen treffen will, muss sich zuallererst fragen, was genau denn wann entschieden werden muss. 

(1)
Agile Manifesto (Link)

 

(2)
Statista 2023  (Link)

 

(3)
Ismar, Georg; Szymanski, Mike. Frau Lehnigk-Emden geht einkaufen. Süddeutsche Zeitung vom 6.6.2023.  (Link)

 

(4)

zitiert aus:
Dyer, Jeff;  Gregersen, Hal. 2017. How does Amazon stay at Day One. Forbes Magazine. (Link)

 

(5)

Slater, Daniel. 2022. Elemente von Amazons Tag 1 Kultur.  (Link)

 

(6)

Brougham, Greg. Cynefin and Delivery, in: Synowden, Dave et al. 2022. Cynefin - Weaving Sense-Making into the Fabric of Our World ED02

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